Dombaumeister Willy Weyres

Wohl kein Dombaumeister des 20. Jahrhunderts hat dem Erscheinungsbild des Domes so sehr seinen Stempel aufgeprägt wie Willy Weyres, unter dessen Federführung der Wiederaufbau der im Zweiten Weltkrieg stark zerstörten Kathedrale erfolgte.

Mitten im Zweiten Weltkrieg, am 11. November 1944, übernahm Weyres zunächst kommissarisch das Amt des Dombaumeisters. Zu diesem Zeitpunkt ragte der gewaltige Bau nur scheinbar unversehrt aus der sich allmählich in eine Trümmerwüste verwandelnden Innenstadt empor. Bei zahlreichen Luftangriffen war die Kathedrale schwer getroffen worden; weitere massive Zerstörungen folgten in den letzten Kriegsmonaten. Am Ende des Krieges zählte der Dom 14 schwere Sprengbomben- und über 70 Brandbombentreffer. Weitere Schäden entstanden durch auffliegendes Material, Beschuss und zuletzt, noch nach dem Krieg, infolge der entstehenden Druckwelle bei der Freisprengung der durch die Überreste der Hohenzollernbrücke versperrten Schifffahrtsrinne des Rheines. Ein Großteil der Mittelschiffgewölbe in Quer- und Langhaus waren vollständig eingestürzt, nahezu alle Fenstermaßwerke beschädigt unzählige Fialen und Zierformen abgesprengt. Hatten sich die Dombauhütte während des Krieges vor allem auf den Schutz und die Sicherung des Bauwerks und seiner Ausstattung konzentriert, begann sie unmittelbar nach dem Kriegsende mit dem Wiederaufbau des Domes.

Der Kölner Dombaumeister Willy Weyres zu Beginn der 1950er Jahre.

Nach nur drei Jahren – eine schier unvorstellbare Leistung – konnten mit dem Chor und dem zumindest provisorisch wiederhergestellten Querhaus die Ostteile des Domes anlässlich der 700-Jahrfeier der Grundsteinlegung am 15. August 1948 wieder für die Allgemeinheit geöffnet werden. Die Wiederherstellung des besonders stark zerstörten Langhauses zog sich bis zum Katholikentag im Sommer 1956 hin.

Lebensdaten

Willy Weyres wurde am 31. Dezember 1903 in Oberhausen geboren. Nachdem er zunächst 1922 in Bonn das Studium der Theologie und Kunstgeschichte aufgenommen hatte, wechselte er 1924 an die Technische Hochschule Aachen und begann mit dem Studium der Architektur, das er 1928 abschloss. Prägend für seinen späteren Werdegang war vor allem sein Baugeschichtslehrer Hans Karlinger, der ihn von der Vereinbarkeit moderner Kunst und historischer Kulturgüter überzeugte. Nach seinem Studium in Aachen besuchte er für ein Semester die Klasse für Glasmalerei von Jan Thorn-Prikker an den Kölner Werkschulen. Nach einer kurzen Betätigung als Mitarbeiter des Provinzialkonservators machte sich Weyres zunächst als freier Architekt mit dem Schwerpunkt Denkmalpflege selbstständig. Zwischen 1935 und 1939 war er Diözesanbaurat des Bistums Limburg. Vor dem Zweiten Weltkrieg war er unter anderem für die Restaurierungen des Münsters in Münstermaifeld, des Limburger Domes und des Quirinusmünsters in Neuss zuständig. Vor seiner Ernennung zum Kölner Dombaumeister 1944 war er ab 1940 erneut für den Provinzialkonservator tätig und führte Kunstschutzmaßnahmen an rheinischen Baudenkmälern durch. 1945 auch zum Kölner Diözesanbaumeister ernannt, war Weyres nach dem Krieg nicht nur für den Kölner Dom zuständig, sondern auch maßgeblich am Wiederaufbau zahlreicher Kirchen in der Stadt und im Erzbistum Köln beteiligt. 1955 erhielt er zudem einen Ruf als Professor an die Technische Hochschule Aachen. Neben diesen Tätigkeiten entstanden zahlreiche Publikationen zum Kölner Dom, zur Domgrabung sowie zur rheinischen Kunst und Architektur. Seine wissenschalftliche Tätigkeit setzte Weyres auch nach seiner Emeritierung als Professor in Aachen und seinem Ausscheiden aus dem Amt des Dombaumeisters 1972 fort.

Denkmalpflegerische Überzeugungen

Als Anhänger der vor und nach dem Zweiten Weltkrieg weit verbreiteten sogenannten »schöpferischen Denkmalpflege« und aufgrund seiner kritischen Haltung zum Historismus lehnte Weyres eine kopierende Wiederherstellung zerstörter oder beschädigter Detailformen des 19. Jahrhunderts ab. Er wollte den Dom vielmehr unter Wahrung des Gesamterscheinungsbildes in einer betont zeitgenössischen Form ergänzen. 

Im Dombaubericht von 1958 erläutert Willy Weyres seine denkmalpflegerischen Vorstellungen:
»Bei der Erneuerung des Zierwerkes und der zerstörten Figuren handelt es sich an der Westfront bisher um Stücke, die im 19. Jahrhundert im akademischen Stil der Kölner Dombauhütte geschaffen worden waren. Kapitelle, Krabben und Kreuzblumen, von unseren Vorgängern in der Regel als Laubwerk ausgebildet, sind von uns in freier Form, meist unter Verwendung figürlicher Motive neugestaltet worden, jedoch so, daß sie sich maßstäblich auf größere Distanz unmerklich dem architektonischen Zusammenhang einfügen. [...]. Kopien der Arbeiten des 19. Jahrhunderts hätten ihre Aufgabe im Rahmen des über die Fassade gesponnenen Schmuckgitters natürlich auch erfüllt, aber es wären unlebendige, herzlose Stücke geworden. Zwischen den Kriegen hat man propagiert, statt der ausgearbeiteten Formen lediglich Bossen, d. h. die rohen Umrißformen der Schmuckglieder zu verwenden. [...] Es zeigte sich jedoch, daß die feingliedrigen Formen beim gotischen Bauwerk in bezug auf ihre Gliederung in einem ganz bestimmten Verhältnis zur großflächigen Struktur der konstruktiven Teile stehen müssen, was nicht ungestraft verändert werden kann. Die ungeschlachte Wirkung mancher neugotischer Bauten ist auf ein solches Mißverhältnis zurückzuführen. Wenn man also den Organismus der Domfassade nicht empfindlich stören wollte, mußte man den vorgegebenen Maßstab der Kleinteile wahren. Da aber unsere Arbeit am Dom nur einen Sinn hat, wenn sie mit dem Herzen getan wird, war der Weg der Kopie nicht möglich. Für uns ist der Dom ein lebendiges Bauwerk, an dem nicht nur das Mittelalter und das 19. Jahrhundert gebaut haben, sondern an dem zu bauen auch uns aufgetragen ist. Es ist eine Weihegabe unserer Väter, die, Gott sei Dank, als große Form erhalten ist, die wir aber im Kleinen zu pflegen haben« .

Manche seiner Entscheidungen wie vor allem der Abbruch des von Ernst Friedrich Zwirner entworfenen Marienaltares in der Marienkapelle oder die Neugestaltung des beschädigten Vierungsturmes mögen aus heutiger Sicht schwer verständlich sein. Die Ablehnung des Historismus des 19. Jahrhunderts beherrschte aber in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg ganz allgemein die Denkmalpflege in Deutschland.