Nach Einstellung der Bauarbeiten um 1520 blieb der Kölner Dom mehr als 320 Jahre eine gewaltige und beeindruckende Bauruine. Auch den Menschen der frühen Neuzeit musste der ambitionierte, an die Grenzen des Machbaren gehende Großbau als ein wahres Wunderwerk erscheinen.
Es ist daher nicht verwunderlich, dass im Laufe der Zeit verschiedene Legenden entstanden, die versuchten zu erklären, wie ein solch gewaltiger Bau geplant und begonnen werden konnte, die aber auch nach den Gründen suchten, weshalb er am Ende unvollendet blieb. Es entstanden eine ganze Reihe von verschiedenen Dombaugeschichten, die jedoch alle erst im 19. Jahrhundert verschriftlicht wurden. In den bekanntesten Erzählungen soll der Teufel seine Hände im Spiel gehabt haben. Oder war es doch, wie Leonard Ennen erzählt, der geniale Theologe und Gelehrte Albertus Magnus, dem niemand geringeres als die Vier Gekrönten, die Patrone der Steinmetzen, auf Anweisung der Gottesmutter den Plan zum Dom auf seine Zellenwand im Kölner Dominikanerkloster zeichneten?
Die einzige bereits im 17. Jahrhundert von Aegidius Gelenius schriftlich festgehaltene Legende zur Architektur des Domes bezieht sich nicht auf den Dombau und dessen Unterbrechung, sondern auf einen Sturmschaden, der sich im Oktober 1434 ereignet hat.
»Als der Bau des Doms zu Cöln begann, wollte man gerade auch eine Wasserleitung ausführen. Da vermaß sich der Baumeister und sprach: ›eher soll das große Münster vollendet seyn, als der geringe Wasserbau!‹ Das sprach er, weil er allein wußte, wo zu diesem die Quelle sprang, und er das Geheimniß niemanden, als seiner Fau entdeckt, ihr aber zugleich bei Leib und Leben geboten hatte, es wohl zu bewahren. Der Bau des Doms fing an und hatte guten Fortgang, aber die Wasserleitung konnte nicht angefangen werden, weil der Meister vergeblich die Quelle suchte. Als dessen Frau nun sah, wie er sich darüber grämte, versprach sie ihm Hilfe, ging zu der Frau des andern Baumeisters und lockte ihr durch List endlich das Geheimniß heraus, wonach die Quelle gerad unter dem Thurm des Münsters sprang; ja, jene bezeichnete selbst den Stein, der sie zudeckte. Nun war ihrem Manne geholfen; folgenden Tags ging er zu dem Stein, klopfte darauf und sogleich drang das Wasser hervor. Als der Baumeister sein Geheimniß verrathen sah und mit seinem stolzen Versprechen zu Schanden werden mußte, weil die Wasserleitung ohne Zweifel nun in kurzer Zeit zu Stande kam, verfluchte er zornig den Bau, daß er nimmermehr sollte vollendet werden, und starb darauf vor Traurigkeit. Hat man fortbauen wollen, so war, was an einem Tag zusammengebracht und aufgemauert stand, am andern Morgen eingefallen, und wenn es noch so gut eingefügt war und aufs festeste haftete, also daß von nun an kein einziger Stein mehr hinzugekommen ist.«
Zit. nach: Deutsche Sagen, hg. von den Brüdern Grimm, Berlin 1816, Nr. 204, S. 280‒281.
»Andere erzählen abweichend. Der Teufel war neidig auf das stolze und heilige Werk, das Herr Gerhard, der Baumeister, erfunden und begonnen hatte. Um doch nicht ganz leer dabei auszugehn, oder gar die Vollendung des Doms noch zu verhindern, ging er mit Herrn Gerhard die Wette ein: er wolle ehr einen Bach von Trier nach Cöln, bis an den Dom, geleitet, als Herr Gerhard seinen Bau vollendet haben; doch müsse ihm, wenn er gewänne, des Mesiters Seele zugehören. Herr Gerhard ward nicht säumig, aber der Teufel kann teufelsschnell arbeiten. Eines Tags stieg der Meister auf den Thurm, der schon so hoch war, als er noch heut zu Tag ist, und das erste, was er von oben herab gewahrte, waren Enten, die schnatternd von dem Bach, den der Teufel herbeigeleitet hatte, aufflogen. Da sprach der Meister in grimmem Zorn: ›zwar hast du, Teufel, mich gewonnen, doch sollst du mich nicht lebendig haben!‹ So sprach er und stürzte sich Hals über Kopf den Thurm herunter, in Gestalt eines Hundes sprang schnell der Teufel hintennach, wie beides in Stein gehauen noch wirklich am Thurme zu schauen ist. Auch soll, wenn man sich mit dem Ohr auf die Erde legt, noch heute der Bach zu hören seyn, wie er unter dem Dome wegfließt. Endlich hat man eine dritte Sage, welche den Teufel mit des Meisters Frau Buhlschaft treiben läßt, wodurch er vermuthlich, wie in der ersten hinter das Baugeheimniß ihres Mannes kam.«
Zit. nach: Deutsche Sagen, hg. von den Brüdern Grimm, Berlin 1816, Nr. 204, S. 281‒282.
»Wenn wir der Volkssage glauben, so verdankt dieser gewaltige Plan [der sog. Planriss F] seinen Ursprung weniger dem tiefen Nachsinnen unseres Albertus als vielmehr einer unmittelbaren Anweisung der allerseligsten Jungfrau. Albertus saß eines Abends, mit dem projekti[e]rten Bau beschäftiget, in tiefstem Nachdenken auf seiner Zelle. Inbrünstig betete er um Erleuchtung zur Vollendung des Werkes, das er zu Gottes Ehre schaffen sollte. Wie Wetterleuchten zuckte es plötzlich vor seinen Augen. Erschreckt schaute er auf und sah sich von einem milden Lichtglanz umflossen, der ihn alle Gegenstände genau erkennen ließ.
Da schritten vier Männer in weißen Talaren in seine Zelle; auf ihren Häuptern strahlten goldene Kronen, wie Edelgestein schimmernd im Lichtglanze. Der erste ein ernster Greis, trug einen reichen, weißen, über die Brust wallenden Bart und in der Rechten zeigte er den Zirkel; der zweite, etwas jünger dem Aussehen nach, führte das Winkelmaß, der dritte, ein rüstiger Mann, dessen Kinn ein dunkler, krauser Bart umschattete, führte den Maßstab, und der vierte ein blühender Jüngling, dessen Haupt reiche, blonde Locken zierten, trug die Waage.
Also bekundeten die Zeichen, daß sie Meister waren der freien heiligen Baukunst. Ernst, feierlich schritten sie daher; ihnen folgte in Himmelschöne die heilige Jungfrau, in ihrer Rechten einen mit hellschimmernden Blüthen geschmückten Lilienstengel tragend. Die vier Meister begannen nun nach Anweisung der heiligen Jungfrau mit der größten Emsigkeit den Plan zu einem majestätischen Kirchenbau zu entwerfen. In hellstrahlenden Linien bildete der Aufriß sich zu einem erhabenen Ganzen fort, wie Albertus nie ein Bauwerk geahnt hatte. Nicht lange dauerte der Zauber; eben schien der ganze Riß in hellem Sternenscheine sich zu einem prachtvollen Ganzen gestaltet zu haben, so entschwand plötzlich die ganze liebliche Erscheinung seinen entzückten Augen. Doch das Bild des ganzen Wunderbaues, wie ihn die vier gekrönten Meister nach der Angabe der heiligen Jungfrau entworfen hatten, blieb seiner Seele gegenwärtig. Jetzt konnte er einen Plan liefern, der in Allem die hochgehenden Wünsche des Erzbischofs vollkommen befriedigen mußte.«
(L[eonard] E[nnen]: Albertus Magnus. Ein Lebensbild aus dem Mittelalter, Katholischer Volkskalender)
»Ehemals lage vor dem H. Dreikönigenhäuschen ein sehr grosser Stein, welcher nunmehro aber weggebracht worden, und im Jahr 1434 von einem ungeheuren und schreckhaften Windsturm durch das Gewölbe der Kirche herabgeworffen ward, und wofern die Vorsicht nicht darüber gewachet hätte, das ganze Häuschen der heil. drei Königen in einander geschmettert haben würde. Dann in diesem Jahr am 7ten Octob. hat durch Europa ein solcher Sturmwind gewütet, dergleichen vorher niemals gewesen. Kein einiges Schif im Rhein hat bleiben und errettet werden können. Die Säulen der Thoren und Thürmen, welche mit eisernen Klammern angeheftet waren, warf der Sturm übern Haufen; von dem Kloster des heil. Heribertus risse er das bleierne Tach ab, und begrube es mitten in die ungestümmen Wellen des Rheins. Zu St. Gereon fiel der Schwibbogen ein und tödete den hochwürdigen Herrn Gerhard von Manderscheid, Probsten zu St. Gereon. Durch diese Sturmwetter also ward gemeldter sehr grosser Stein von seinen eisernen Banden loßgerissen und durch das Gewölbe herabgestürzet, wo dan folgende Versen zu lesen sind: Anno Milleno C. quater quartoque trigeno // Nonas octobris ventus de nocte flat ingens // Grandem per tectum lapidem testudine pellens.
Das ist: Im Jahr tausend, vierhundert dreisig vier den siebenden Octob. wütete in der Nacht ein heftiger Sturmwind, schmiß einen ungeheur grossen Stein durch das Tach vom Gewölbe herab.
Der gemeine Mann glaubt, der Teufel habe bei diesem Sturm den Stein herunter geschmissen, um die Ehre der H. drei Königen zu zernichten, und Gott habe ihm solches zugelassen; der Stein aber sey im Fallen von der graden Linie abgewichen. Man darf sich nicht befremden lassen, daß man dergleichen glauben können, da aus so vielen Pyramiden nicht ein Stein durch so viele jahrunderte über die heil. drei Könige herab gestürzet.«
Deutsche Übersetzung nach Aegidius Gelenius: Maximilian Wilhelm Schallenbach: Historische Beschreibung der weltberümten stadtköllnischen Hohen Erzdomkirche …, Köln 1771, S. 60‒62.